Von Wegen und Wegbegleitern: Teil II

Die Türkei: ein ganz anderes Kapitel

Wir überqueren die türkische Grenze in der brütenden Nachmttagshitze. Nach unserem Reiseziel gefragt, müssen wir dem bulgarischen Grenzbeamten versichern, kein Plutonium in den Iran zu transportieren. Unsere Taschen bleiben undurchsucht.

Kurzzeitig blitzt der Gedanke auf, dass man als Backpacker bestimmt gut Plutonium in den Iran transportieren könnte.

Sobald wir die bulgarischen Grenzposten hinter uns lassen, wird alles monumental. Die türkische Grenzanlage ist riesig und wirkt umso mehr so, weil sie fast menschenleer ist. Von 12 Grenzschlangen funktioniert natürlich nur eine und dort tümmelt sich eine kleine Traube an vollgestopften Autos. Die Abfertigung läuft problemlos - keine Plutoniumverhöre, die uns aufhalten. Pünktlich zu unserem Grenzübertritt setzt um 17 Uhr der Muezzingesang der ebenfalls monumentalen Moschee an der Grenze ein. Uns wird klar, dass wir das gewohnte Europa nun für sehr lange Zeit hinter uns gelassen haben.
Der Grenzübergang ist von der türkischen Seite deutlich besser besucht. Die LKWs bilden eine rußende und qualmende Perlenkette so weit das Auge reicht. Noch während wir uns an türkische Fahnen und Klänge akklimatisieren, kommt ein junger türkischer Businessman vor uns zum Stehen, der uns nur ein kurzes Stück fährt und dann leider etwas abseits der Autobahn wieder rauslässt. Kaum sind wir in einer Kurve, hinter der Leitplanke, auf der Fahrbahn angekommen und noch damit beschäftigt, unser Gepäck zu arrangieren, da hält ein imposanter Range Rover Sportversion mit britischem Kennzeichen. Das Fahrzeug war uns schon an der Grenze aufgefallen und ehrlich gesagt hätten wir es nicht angehalten. Das abgedunkelte Fenster fährt langsam herunter, uns entgegen blickt ein breit lächelnder arabisch aussehender junger Mann, der so nett wirkt, dass wir direkt einsteigen.



Mohamed ist Brite mit irakischen Wurzeln. Er lebt in London und betreibt dort ein irakisches Restaurant - nein - das beste irakische Restaurant. Mohamed fährt nach Istanbul, um seine Frau zu überraschen, die gerade ihre Familie besucht. Er ist ein ganz aufgedrehter Typ mit einer Begeisterung für das Leben. Das äußert sich mal in Motivationscoachreden mal in einer überschwänglichen Laudatio auf unseren Reisestil - ja auf unsere Mission. In seinem fetten Range Rover hängen schöne Designerklamotten, es riecht nach teurem Parfüm. Er spricht viel über Minimalismus und dass er gerne einfacher leben würde, ohne Instagram und diesen ganzen Quatsch. So hat jeder eben seine eigenen Hürden im Leben.

Istanbul: eine Hölle für Tramper

Inzwischen ist es Nacht geworden und wir kommen im Straßengewirr Istanbuls an.  Mohammed bedauert uns hier absetzen zu müssen, aber wir kommen ja sicher noch weiter. Aus dem klimatisierten Traum aus Blech und Komfort ausgestiegen, überrennen uns Hupen,Lichter,Straßen,Beton und Autos, immer mehr Autos. Wir merken sofort, dass das eine folgenschwere Entscheidung war. Istanbul ist krass. Ist groß. Nein, gewaltig. Und verwirrend. Istanbul ist laut, herausfordernd und von allem ein bisschen zu viel. Eine Weile wissen wir gar nicht wie uns geschieht. Wir versuchen eine Straße zu kreuzen und werden aufgesogen in den irrlichternden Gängen eines motorisierten  Labyrinths aus Über- und Unterführungen. Irgendwann kommen wir zu uns und fassen einen Plan: Tankstelle aufsuchen, Geld abheben, Bus raus aus Istanbul nehmen, wieder durchatmen, weitertrampen.



Eine Tankstelle ist schnell gefunden (es ist 1 von ca. 1 Millionen). Doch beim Geld scheitert es: beide Kreditkarten funktionieren nicht. Mist, was jetzt? Internet haben wir nicht, zudem ist der Handyakku leer. Wir wissen nicht genau, wo wir sind und wie wir da rauskommen. Und selbst wenn wir es wüssten, hätten wir immer noch kein Geld, um es zu tun. Zudem ist trampen an dieser Stelle nahezu unmöglich. Uns umgeben Wohnblöcke, Neonlicht und natürlich Autos, ganz viele Autos. Bleiben ist also auch keine Alternative, denn das einzige Hotel in der Nähe, ein Ritz Carlton liegt ein bisschen über unserem Reisebudget. Und auch hier wäre da noch die Sache mit den funktionsunfähigen Kreditkarten. Unsere Gedanken drehen sich eine Zeit lang im Kreis, eine Lösung scheint nicht in Sicht...

Zu unserem Glück reißt uns der Tankstellenwart aus der Schockstarre, indem er sich unserer annimmt. Erst gibt er uns sein Handy, dann hebt über das EC-Bezahlsystem Geld für uns ab, was erstaunlicherweise funktioniert und eigentlich auch gesetzlich verboten ist. Mit etwas Bargeld, einer vagen Ahnung unserer geografischen Position und einer halben Akkuladung ausgestattet, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus und der ursprüngliche Plan kann umgesetzt werden.

Fast...Denn natürlich ist ab jetzt alles immer noch nicht so ganz einfach. Aus dem Verkehrsstrom muss ein Bus herausgelotst werden, am besten einer annähernd in unsere Richtung. Auch dafür brauchen wir die Mithilfe eines freundlichen Helfers. Auf der Karte sieht Gebze (unser temporäres Ziel) so aus, als ob da nicht viel los wäre und sich bestimmt ein Plätzchen für unser Zelt finden ließe.

Angekommen stellt sich das Örtchen als vertitabler Speckgürtel/Industriezone heraus, in dem Straßenhunde um die terretoriale Vorherrschaft kämpfen. Inzwischen ist es halb 3 Uhr nachts und Jonathan ist bereit für ein bisschen Schlaf dem nächstbesten Streuner an die Gurgel zu gehen. Julia hält das für keine gute Idee, zumal die Chancen auf Sieg äußerst gering erscheinen. Verzweifelt begnügen wir uns mit einer Grünstreifeninsel, eingeklemmt zwischen Fabrikeingang und Straße.



Am Morgen werden wir früh wach und grüßen irritiert dreinblickende Arbeiterinnen, die vor der Fabrik, also neben unserem Zelt, Schlange stehen. Noch einen weiteren halben Tag brauchen wir, um dem Stadtdschungel zu entkommen. Das kostet Kräfte für zwei.

Eine ähnliche Situation erwartet uns in Ankara und so geben wir unser Bestes die Stadt auf dem Autobahnring zu umtrampen. Nach der Tortur retten wir uns erschöpft nach Kirikkale ins erstbeste Hotelzimmer- zu unserem Glück eins mit pinker Bettwäsche und reichhaltigem Frühstück.


Stück für Stück nähern wir uns jetzt dem Iran. Und mit jedem Stück wird uns ein bisschen weniger der Vogel gezeigt, wenn wir unser erstes Reiseziel angeben. Fast schon zu spät erwischen wir mit Ali unseren ersten und besten Türkisch-Lehrer, der mit ein bisschen Übersetzungshilfe von Google-Translate unsere Umgangsformen aufhübscht. Kurz vor Sivas lässt uns Ali raus und wir können einheimische Dörfler mit unserem Zelt am Fluss erstaunen.

Endspurt Richtung Iran

Unsere letzte längere Fahrt in der Türkei ist mit Mesut. Er fährt uns von Sivas bis fast an die iranische Grenze. Mit Mesut können wir eigentlich kaum kommunizieren, aber die entstehende Stille ist mit ihm überhaupt nicht unangenehm. Während wir weitere Kilometer zwischen uns und der Nacht in Istanbul bringen, wächst unser Vertrauen trotz Sprachbarriere und wir fühlen uns immer wohler. Achten wir am Anfang noch darauf unsere Sachen ordentlich und jederzeit griffbereit zu halten, fläzen wir uns später paschaartig auf der Rückbank und funktionieren den Truck um in ein mobiles Büro.



Mit seinem Baustellenlaster tuckern wir jetzt gemütlich von Teepause zu Teepause und jedes Mal zeigt sich eine neue Seite des türkischen Alltags. Mal halten wir bei einer Kantine mit allerlei türkischen Herzhaftigkeiten, mal besuchen wir den Teestand von lokalen Schäfern, die einen frischen Wurf Welpen vorweisen können. Uns fällt auf wie wolfsähnlich die Hunde sind und Mesut gibt zu verstehen, dass den Hunden die Ohren beschnitten werden, damit sie sich unter die Schafe mischen lassen. Eine Abwehrstrategie gegen die in dieser Gegend verbreiteten Wölfe.



Die Gegend um uns wird nun gebirgiger und wir fahren ewig lange Straßenschlenker mal bergauf mal bergab. Irgendwann lenkt Mesut unsere Aufmerksamkeit mit einer Handbewegung auf einen vorbeiziehenden Fluss. Wir brauchen ein paar Sekunden, bis wir begreifen, dass der Fluss statt bergab, steil bergauf fließt. Auf der Suche nach einer Antwort schauen wir zu Mesut, der zeigt in den Himmel und lächelt verschmitzt.


Außer gravitationsregelnmissachtende Flüsse fallen riesige Türkei-Flaggen und Bergbemalungen mit Halbmond und Stern auf. Auch Stützpunkte der Militärpolizei finden sich vermehrt, je weiter wir in den Osten der Türkei kommen. Es gibt Straßensperren, Kasernen und gepanzerte Wagen am Straßenrand. Inzwischen befinden wir uns in einer Region des mehrheitlich kurdischen Siedlungsgebiets. Uns scheint, der türkische Staat möchte oder muss hier mehr Präsenz zeigen. Eine Frage an den Kurden Mesut nach einer Meinung zu Kurdistan wird mit dem Kopf weggeschüttelt und traurigen Blicks mit einem faktischem 'Türkyie.' beantwortet.




Da es langsam Nacht wird, bietet uns Mesut unverhofft, aber unaufdringlich an, bei ihm und seiner Familie die Nacht zu verbringen. Nach kurzer interner Diskussion entscheiden wir, uns auf das Abenteuer einzulassen und zuzustimmen. Das bedeutet, Mesut bringt uns bis 50 km vor die iranische Grenze, was unseren Bauch vor Vorfreude grummeln lässt. Plötzlich biegt Mesut an einer unscheinbaren Ecke ab, obwohl die Schilder den Iran ganz woanders verorten.

Der Truck kommt auf einem ungepflegten, dunklen Hinterhof zum Stehen. Kurzzeitig beginnen die Gedanken zu rasen. Haben wir uns doch in Mesut getäuscht? Aus einem kleinen Unterschlupf erscheinen erst Taschenlampenleuchten, dann einige beschattete Gesichter. Wir gucken Mesut an, der lächelt wieder verschmitzt und verschwindet aus der Seitentür. Nach einigen Sekunden hören wir ein leises Gepolter und metallenes Dröhnen. Im Häuschen geht ein gedämpftes Licht an und wir sehen drei tapfere Gestalten, die sich mit Schläuchen an riesigen Benzinbehälter zu schaffen machen. Jetzt ertönt ein stetiges Glucksen im  Fahrzeugraum. Uns geht jetzt auch ein Licht auf. Benzin ist im Iran ein Vielfaches billiger als in der Türkei und es ist ein gängiges (Vor-)Urteil, dass Kurden die besten Schmuggler seien. 'Petrol?' fragen wir wenn Mesut wieder einsteigt, 'Petrol!' antwortet er und lacht ein wenig über unsere vorherige Beunruhigung. Frisch vollgetankt machen wir uns auf zu Mesut nach Hause. Dort lernen wir Mesuts Frau und seine drei kleinen Mädchen kennen und machen erste Bekanntschaft mit muslimischen Bräuchen als Mesuts Frau aufgeschreckt davonläuft, wenn Jonathan allein den Raum betritt.
Erholt und mit Frühstück und weiteren Unmengen von Tee gestärkt geht es für uns dann endgültig in den Iran. Wir sind traurig uns von Mesut verabschieden zu müssen und schmieden jetzt schon Pläne, ihm auf dem Rückweg einen Überraschungsbesuch abzustatten.

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