Westiran: Von Bergen, Völkern und Bildeindrücken



Der Iran ist ein Vielvölkerstaat. Und die Bedeutung der ethnischen Zugehörigkeit als Identifikationsmerkmal wird uns schon kurz nach unserer Einreise in den Nordwesten bewusst.

Neben unzähligen kleineren Stämmen, die teilweise sogar noch nomadisch Leben, begegnen uns im Nordwesten und Westen des Iran viele stolze Azeri, Kurden und Loren. Die ethnischen Minderheiten sind häufig leicht zu erkennen, denn sie haben sehr eigene kulturelle Traditionen, die intensiv ausgelebt werden. In vielen Regionen finden wir Menschen mit eigener Sprache, Kleidungsstil, Speisen, Gesang und Musik, Tanz und Lebensweise. Von den größeren ethnischen Gruppen wollen wir exemplarisch einige vorstellen, die uns auf unserem Weg begegnet sind.


Trampen im Iran

Azeris

Die zweitgrößte ethnische Gruppe im Iran nach den Farsi (Persern) siedelt vor allem um die Millionenstadt Tabris - unserem ersten Halt - und der türkischen-azerbaidschanischen Grenzregion. Die iranischen Azerbaidschaner stellen die größte Population von Azerbaidschanern auf der Welt, mehr sogar als in Azerbaidschan selbst.

Die Azeri sind deutlich assimilierter als beispielsweise iranische Kurden. Das zeigt sich nicht nur im Kleidungsstil, der wie in Farsi-geprägten Regionen dem westlichen entspricht, aber auch in der ausgeglichenen Repräsentation in Politik, Militär und intellektueller sowie religiöser Hierarchie. Von der Eigenständigkeit zeugt aber ein im 20. Jahrhundert geführter kurzlebiger autonomer Staat, der von der Sowjetunion initiiert und gestützt wurde.

Auch sprachlich haben sich Azeris Autonomie bewahrt. So wird neben Farsi auch Azerbaidschanisch, eine eng mit dem Türkischen verwandte Sprache, gesprochen. Hier konnten wir mit unserer auf der Durchfahrt durch die Türkei gesammelten Sprachkenntnissen punkten. Auf ein türkisches "Merhaba" (Hallo) kam strahlendes Lächeln zurück und Brot (Ekmek) konnten wir auch schon bestellen. Darüber hinaus gibt es eine ausgeprägte eigene Musik- und Tanzkultur, die auf einen gemeinsamen kaukasischen insbesondere georgischen Ursprung verweist.



Unsere sehr entspannte Gesellschaft beim Mittagessen

Kurden

Für uns eine Herzensangelegenheit, aber auch ein kompliziertes Thema. Das Volk der Kurden ist die größte ethnische Gruppe der Welt, die keinen eigenen Staat bildet. Wie vielleicht bereits bekannt, verteilen sich die Kurden vor allem auf die Türkei (die größte Population mit ca. 15 Millionen), Irak (ca. 5,4 Millionen), Iran (ca. 4 Millionen) und Syrien (ca. 2 Millionen). Auf dem Weg haben wir mit dem türkischen Kurden Mesut einen kurzen Einblick in den kurdischen Alltag in der Türkei gewonnen. Und so haben wir uns auch im Iran sehr darauf gefreut, in mehrheitlich kurdischen Gebieten unterwegs zu sein.




Kleine (unerwartete) Blumenwiese, alias Frühling in Kurdistan


Wie auch in der Türkei sind die Kurden im Iran in sehr bergigen Regionen zu finden. Neben der eigenen Sprache ist besonders der Kleidungsstil auffällig. Mit unserem Übertritt in die iranische Provinz Kurdestan fällt auf, dass alle Männer (Die Betonung liegt auf wirklich alle Männer.) weite Hosen tragen, die an Pumphosen erinnern. Ältere tragen dazu eine Bauchbinde und ein Hütchen mit umschlungenen Tuch. Und das ist noch nicht mal Ausdruck eines touristischen Werbeprojekts. Auch wenn man hier in Punkto touristischer Erschlossenheit ein anderes Selbstbewusstsein hat. So erklärt uns ein stolzer älterer Kurde, dass wir uns in einem touristischen Hotspot befinden. Erst letzten Monat sind ganze zwei Deutsche hier durchgereist. Die werden natürlich auch mit reichlich Tee abgefüllt und bekommen auch sonst die Hälfte ihrer Einkäufe geschenkt.


Auf der Suche nach einem Zeltplatz machen wir die Bekanntschaft mit kurdischen Kuhhirten. Man beachte die traditionelle Kleidung: Pumperhose und Bauchbinde


Auch der Kleidungstil für Frauen unterscheidet sich deutlich von dem Rest des Landes. Prinzipiell sind Frauen uneinheitlicher gekleidet als die Männer. Der Hijab wird aber auffällig bunt und grell getragen und Tschadors sind rar gesäte Ausnahmen. Einige Frauen haben wir sogar Männerhosen tragen sehen... Im Vergleich zu anderen Landesgenossinnen haben kurdische Frauen außerdem mehr Mitspracherecht und gelten als emanzipierter.

Ökonomisch-politisch ergibt sich auch im iranischen Kurdistan eine schwierige Perspektive. Wenn auch in geringerem Maße als in den anderen Ländern, gibt es unter iranischen Kurden ein Streben nach Unabhängigkeit, sowie eine ausgeprägte Solidarität mit der kurdischen Bevölkerung jenseits des Iran. Das wird von der Zentralregierung mit teils brutaler Unterdrückung quittiert. So werden immer wieder Politiker, aber auch Privatpersonen nach eigenen Angaben ohne Verbindung zu militanten Gruppierungen in kurzen Prozessen verurteilt und hingerichtet. Die Begründung der "Recht"-Sprechung bleibt häufig verworren und endet in einem allgemein gehaltenen "Feind Gottes". Ein Ausdruck der schwierigen Beziehung zwischen Kurden und der Zentralregierung ist die geringe Repräsentation der Kurden im offiziellen Staatswesen. Es entsteht ein Teufelskreislauf: Kurden verstehen sich immer weniger als Teil eines als fremdbestimmend angesehenen Iran und radikalisieren sich in den Formen der Meinungsäußerungen. So bilden sich auch in den kurdischen Gebieten des Iran nationalistische politische Strömungen mit militantem Arm. Dies stellt die Zentralgewalt des iranischen Staatapparats in Frage, der wiederum zu harten Repressivmaßnahmen greift, um die iranische Souveränität zu behaupten.



Dorfausgang in der Nähe der irakische Grenze
Die iranische Kurden pflegen natürlich auch einen intensiven länderübergreifenden Kontakt mit den Kurden anderer Staatsgebiete, insbesondere den irakischen. Das hat auch den iranischen Kurden, den nicht unberechtigten Ruf als Schmuggler eingebracht, die von Waffen bis Flat-Screens jegliche Ware beschaffen können. Während wir durch kurdische Bergdörfer getrampt sind, kamen wir durch das Dorf Uruman Takht, das nur durch eine Bergkette vom Irak getrennt ist. Auf einem Parkplatz vor einer Verbindungsstraße stapelten sich dann auch Unmengen von Pickups und Peykans (klassische Autos des iranischen Herstellers Seipa) mit herumlungernden Haufen von Männern. Unser iranischer Mitnehmer lachte und meinte irakische Flat-Screens seien derzeit besonders begehrt.

Ansonsten ist vor allem Viehhaltung und Landwirtschaft vorherrschend. Eine Industrialisierung ist nur kaum gegeben und wird von der iranischen Regierung auch nicht unterstützt. Das bedeutet, eine ärmlichere und bäuerlichere kurdische Gesellschaft, die jedoch nichts an ihrer Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft eingebüßt hat.


Gegenseitiges Beschnuppern zweier sehr unterschiedlicher Welten

Menschen in Marivan (mehrheitlich kurdische Stadt)


Junger mann pflegt und putz sein Auto, übrigens gefühlt die liebste Freizeitbeschäftigung junger männlicher Iraner




Großmutter und Enkel

Warten auf Kunden in der Mittagszeit



Ebenfalls warten in der Mittagszeit, in dem Fall wissen wir aber nicht worauf




Nachbarschaftsplausch




Loren

Nach den kurdischen Bergdörfern ging es in das nicht weniger gebirgige, dafür aber trockener werdende Lorestan. Es beheimatet neben vielen Kurden vor allem Loren. Die Angehörigen dieser Volksgruppe beziffern sich auf knapp 5 Millionen, die in 60 Stämme gegliedert werden können. Diese Stammesgliederung spiegelt die bis ins 20 Jahrhundert überwiegend nomadische Lebensweise der Loren wider. Nicht nur sind die Loren eng mit den Kurden verwandt, einige Wissenschaftler_innen gehen von einer Trennung der beiden Gruppen vor etwa 1.000 Jahren aus, sondern es besteht eine hohe Ähnlichkeit der Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen.



Zugfahrt nach Andimeshk


Hosenreparatur in Dorud


Auch hier genießen Frauen größeres Mitspracherecht verglichen mit benachbarten arabisch-stämmigen und iranischen (Farsi) Frauen. Neben der eigenen Musik und Tänze ist insbesondere die Sprache erwähnenswert. Einige Historiker_innen sehen sie als am nächsten mit dem ur-persischen verwandt.

In Lorestan ruhen wir uns in der Stadt Dorud aus. Ein Städtchen, das überschattet wird von einer riesigen langsam zerbröckelnden Zementfabrik, die ihren Qualm über die Bevölkerung ausspuckt. Angezogen werden wir von einer Zugfahrt durch enge Täler und Schluchten durch schwer zugängliches Gebiet. Die kleinen Dörfer, die wir passieren, stapeln sich am Anfang noch an grünen Berghängen, später dann quetschen sie sich in rötliche Canyons und zerfasern über gelbe Terrassen. Wir kommen an im ölreichen und vermehrt arabisch besiedelten Khuzestan. Ein flaches, von Dattelpalmen durchbrochenes Land, deren trockenen und sandigen Felder vermehrt von flammenspeienden Fördertürmen abgelöst wird. Es ist ein im doppelten Sinne verwüstetes Land. Denn Khuzestan war einer der Hauptschauplätze des grausamen Iran-Irakkriegs mit seinen Giftgas-Attacken und Mienenfeldern.

Abfahrt im halbwegs begrünten Lorestan

Kurzer Zwischenstopp in der angeblich hässlichen Wüste Khuzestans



Ankunft im flacheren, wüstigen und unheimlich heißen Khuzestan



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