Von Wegen und Wegbegleitern: Teil I

Einmal quer durch Europa

Endlich sind wir im Iran angekommen. Es war ein anstrengender und sehr schöner Weg. 3666 Kilometer haben wir hinter uns gebracht, 7 Länder haben wir gekreuzt, 8 Tage konzentrierte sich unser Leben um die Autobahn oder Landstraße.
Kein einziger Kilometer wäre ohne all die Menschen möglich gewesen, die uns auf unserem Wege begegneten und uns so bereitwillig geholfen haben. Deshalb möchten wir die Gelegenheit nutzen und 2 bis 3 Tauben mit einem Stein erwischen - so oder so ähnlich und weniger gewaltvoll. Indem wir einige von unseren Weggefährten und -ermöglicherinnen vorstellen, können wir unsere Erfahrungen auf dem Weg mit euch teilen und uns gleichzeitig bei ihnen für ihren Fingerabdruck auf unserer Reise bedanken.

Abfahrt in Berlin

Los ging es natürlich in Berlin, wo wir unsere Abschlussarbeitshöhle und letzte wunderbare Wohnstatt verlassen (Dank an Sam und Destina für eine tolle WG-Erfahrung) und den Abholservice von Julies Vater Wladimir genossen haben, der weder Stau noch Navi-Verfehlungen gescheut hat, um uns nach Michendorf zur Tankstelle vor Berlin zu fahren.

Und dann steht man da an der Tankstelle. Die Hände sind noch schwitzig und verkrampft vom hektischen Letzte-Korrekturen-Einarbeiten und irgendwie ist da ein komisches Bauchgefühl, dass ab jetzt Tankstellen und Autofahrer für sehr lange Zeit unsere besten Freunde sein sollen. Zeit zum Überlegen bleibt keine, schon sitzen wir mal im Fahrrad-Transporter, mal im Mercedes-Luxus-Schlitten auf Bayern-Urlaub und düsen mit 100 - 200 km/h nach Berletzhausen. Die Weltstadt Berletzhausen mag der Öffentlichkeit noch kein Begriff sein, ist aber als Zwischenstopp unter Langzeitreisenden ein Geheimtipp, nicht zuletzt wegen einer hervorragenden Gastgeberin (Oma von Jonathan) und ausgedehnten Mittagsschläfchen im Apfelbaumblütenregen.


Zweiter und wirklicher Aufbruch

Nach kurzer Verschnaufpause sind wir bereit für die ganz großen Abenteuer, aber die fangen ja bekanntlich erst im Iran an und da muss man erstmal hinkommen. Also machen wir uns wieder auf an die Tankstelle und passieren mit einem belgischen Pärchen unsere erste noch unspektakuläre Grenze nach Österreich.

Bei einer gemütlichen Mittagspause finden wir mehrere polnische Wettkampfteilnehmerinnen eines Tramping-Wettbewerbs von Polen nach Süditalien, die mit vollem Gepäck hektisch versuchen Leute zu überzeugen nach Italien zu fahren. Sonnenbrand, nächtliche Kälteschauer und konstanter Verkehrslärm haben ihre Spuren hinterlassen und wir sind ganz froh, dass wir nicht um die Wette trampen.

Wir haben das Glück, dass uns am Ende unseres Mittagssnacks Damjana findet. Damjana ist eine slowenische Marketing Managerin von medizinischen Sauerstoffkammern und großer Vorliebe für Süßigkeiten. Sie hat gerade das erste Mal seit Jahren eine Familienpause gemacht und war in München eine Freundin besuchen, Bier trinken und Polka tanzen. Wir finden das war eine gute Idee. Jetzt hat sie nichts Besseres zu tun als uns bis kurz vor Ljubljana (Slowenien) zu kutschieren, wo wir ein ganz herrliches Feld zum Kampieren finden. Unsere Meinung wird ganz offensichtlich auch vom dazugehörigen Bauern geteilt, der am Morgen schimpfend vor unserem Zelt steht und ("Minutes no Horas") zur Eile drängt, um dann das Feld ganz für sich und seine Kühe zu beanspruchen.




Schnell geht es weiter mit Yurij und seiner Frau, die für uns sogar einen Umweg von ihrer Fahrt in den Kurzurlaub in Kauf nehmen, damit wir nicht hoffnungslos in der Pampa stranden.



Ein Tanz durch die Einöde

Dann treffen wir Sascha und Marko. Die beiden sind leidenschaftliche Ärzte (sie Radiologin, er Traumatologe), leidenschaftliche Tänzer (Tango Argentino), leidenschaftliche Eltern und leidenschaftliche Bücherverschlinger. Überhaupt leben sie ein sehr intensives Leben und geben uns damit ein inspirierendes Beispiel für die Lebensgestaltung. Mit ihnen vergeht die Zeit wie im Flug, mal lachen wir gemeinsam über witzige Alltäglichkeiten, mal kommen berührende Geschichten auf, die an der Tränengrenze gleiten. Am Fenster ziehen die monotonen Feldlandschaften Kroatiens und Serbiens vorüber. Kein Hügel trübt die Sicht und es ist als ob, nur die Ackerfrüchte ihre Plätze tauschen. Zyklisch wechseln sich Mais mit Weizen und Weizen mit Gras und ganz selten Gras mit Sonnenblumensprößlingen. Mag die Landschaft etwas eintönig, die Bevölkerung etwas finster sein, unsere Begleiter bereichern uns mit jedem Kilometer. Ganz im Nebenbei erfahren wir von der Geschichte des Balkan und seiner jetzigen politischen und ökonomischen Lage. Die vorbeiziehende Geschichte eines ausgewachsenen Krieges vor gerade mal 25 Jahren führt uns vor Augen, wie viel Glück wir haben, dass Kriege in der Europäischen Union unmöglich erscheinen.


Marko und Sascha


Es folgt eine erholsame Nacht hinter einem Rapsfeld, mit dem bereits gewohnten Rauschen der Autobahn im Hintergrund. Am nächsten Morgen werden wir von Mithat und Nihai aufgesammelt, einem lustigen türkischem Kraftfahrerduo. Mithat und Nihai sind jede Woche auf der Strecke Niederlande-Istanbul unterwegs und fahren Fisch nach Norden und Blumen in den Süden. Die beiden hören traditionelle türkische Musik abwechselnd mit Jay-Z und unterstellen jedem unvernünftig fahrenden Fahrzeug, von einem Albaner gefahren zu werden - natürlich ungeachtet des Kennzeichens. Vielleicht wissen sie etwas, was wir nicht wissen. Mithat mag gerne Bitburger und Nihai mag gerne sein Boot fahren. Beide haben Familie und finden, dass Urlaub mit Familie gut ist, aber Urlaub ohne Familie besser. Die beiden hätten uns gerne mit gepflegten 80 km/h bis nach Istanbul gebracht. Wir beide sind aber nicht ganz so hartgesottene Vielfahrer und brauchen eine Pause.  An der serbisch-bulgarischen Grenze trennen sich daher unsere Wege.


Mithat und Jonathan

 Bulgarische Kurzbegegnungen

An der Grenze sammeln uns zwei junge bulgarische Männer auf. Die Fahrt ist zu kurz und die beiden zu beschäftigt, um über solche Belanglosigkeiten wie Namen zu sprechen. Die beiden spielen nämlich Ingress, ein Augmented Reality Spiel, bei dem es dabei geht irgendwelche Portale zu öffnen und irgendwelche Punkte miteinander zu verbinden. Das ist auch der Grund, dass die beiden an der Grenze rumlungern. Wir verstehen nicht ganz, nicken aber viel und freuen uns über ihre Hilfe. Nachdem wir versprechen müssen, dass wir falls wir jemals mitspielen, unter allen Umständen zum blauen Team zu gehören, werden wir von den beiden irgendwo um Sofia wieder rausgelassen.
Dann kommt Demir, unsere erste Negativ-Erfahrung auf dieser Reise. Schon beim Einstieg werden wir auf die Frage, was er geladen hat mit Sprühdeo bombardiert. Zu dem Zeitpunkt wirkt das noch eher originell. Im Folgenden erweist sich Demir als ein erstaunliches Anti-Wikipedia, also ein Sammelsurium an Falschinformationen über Gott und die Welt, die er vehement und ungefragt auf uns niederprasseln lässt. Gepaart mit seinem eher dunklen Humor wird das Ganze langsam unsympathisch. Als er über unser Reisevorhaben lacht und uns im Iran den fast sicheren Tod prophezeit (er beziffert die Wahrscheinlichkeit wiederholt auf genau 80%), entscheiden wir, dass es Zeit ist auszusteigen.

Ivan mit Knarre

In der Zwischenzeit ist es dunkel geworden und an der Tankstelle, an der Demir uns rauslässt können wir nicht bleiben. Wir versuchen weiter unser Glück und es dauert nicht lang bis Ivan uns über den Weg läuft. Ivans Alter ist schwer zu schätzen. Er fuhr früher einen Peugeot 407, aber seit er diesen Luxus-Mercedes hat wurde er  - nach Eigenaussage -  neu geboren. Damit lässt sich nämlich, wie er uns stolz demonstriert in 5 Sekunden von 0 auf 100 beschleunigen. Ivan ist im Immobiliengeschäft und hat eine Knarre im Handschuhfach, wie er uns ebenfalls stolz demonstriert - 'for animal protection'. Das mag jetzt etwas bedrohlich klingen, aber bei alldem ist Ivan einfach sehr süß. Er ist fast schon kindlich begeistert von uns und spricht davon, wie er gerne viel öfter neue Menschen kennenlernen würde. Wir müssen ihm versprechen, ihm Fotos zu schicken, denn Ivans Freunde machen nur langweiligen Urlaub. Er aber möchte gerne schöne Bilder aus andern Ländern sehen. Damit wir die ihm auch schicken können, gibt er uns seine Emailadresse: sinngemäß sir.eazy.girlz@hotmail.com. Uns beschleicht ein Verdacht...


Wir brauchen eine Weile, um im Dunkeln einen geeigneten Platz für unser Zelt zu finden. Düstere Schlammpfade lassen Schlimmes vermuten. Fernes Hundegeheul noch Schlimmeres. Dornenranken am Boden, die unser Zelt zerreißen könnten, zwingen uns zum Rückzug durch eine unheimliche Autobahnunterführung. Wir folgen dem dunklen Pfad und stellen unser Zelt bei nächstbester Gelegenheit auf. Am nächsten Morgen erst stellen wir fest, dass die Dunkelheit uns einen Streich gespielt hat und unsere Umgebung das Vorbild für das schönste Landschaftsgemälde bieten könnte.



Wir  gönnen uns eine längere Pause, spazieren durch die Umgebung und erfreuen uns der Zeichen des Frühlings: Frösche am Teich, bunte Schmetterlinge, blühender Mohn. Doch im Hintergrund erinnert uns der der nicht nachlassende Autobahnlärm an  den Weg der noch vor uns liegt.


Ivan ohne Knarre

Der nächste Tag beginnt erst schleppend und recht spät kann Julia einen ganz unscheinbaren und stillen Mann namens Ivan - Bulgarien scheint ein unerschöpfliches Vorkommen von Männern dieses Namens zu haben- überzeugen uns ein Stück in Richtung türkische Grenze mitzunehmen. Schnell stellt sich heraus das Ivan (diesmal einer ohne Knarre) der wunderbarste und respektvollste Mitnehmer in Bulgarien ist, den man sich wünschen kann. Trotz Totalschadens seines Autos und zwischenzeitlicher Abholung durch seinen Freund - natürlich namens Ivan - nimmt Ivan uns weiter mit, diesmal in einem Mietauto. Während Ivan arbeitet - er betreut EC-Zahlungssysteme an Tankstellen - erkunden wir die Stadt und am Ende des Tages bringt er uns an die türkische Grenze, wo er eigentlich gar nicht hin muss.




So endet unsere Durchquerung Europas wieder mit einer kleinen Heldentat eines Unbekannten, an den es auch auf der anderen Seite der Grenze nicht gemangelt hat. Dazu beim nächsten Mal mehr ...






Kommentare