Wie reisen wir?


Peru, November 2015

Stück für Stück haben wir am Wegesrand, ohne sonderlich Acht darauf zu geben, neue Eigenheiten aufgesammelt und alte neu entdeckt. Während sich anfangs ein widersprüchliches Konglomerat aus Gewohnheiten, Grundsätzen und kleinen Ritualen ergab, begann sich bald abzuzeichnen, dass sich da etwas zusammenfügte, was für uns zusammen gehörte- unsere eigene Art zu reisen. Unser Reisestil ist nicht nur Ausdruck von Sachzwängen, sondern es spiegeln sich eine Menge unserer Vorlieben und Schrullen in ihr wider.

Natürlich gilt trotzdem: Unser Budget ist knapp und statt uns ein Hotel mit Pool zu gönnen, reisen wir lieber einen Tag länger, oder eine Woche, oder einen Monat oder zwei. Das Ausbalancieren von wohlbekannter Geldknappheit, Naturverliebtheit, Abenteuerlust, Endteckerlaune und Komfortgelüsten hat uns zu einigen Grundpfeilern unseres Reisens geführt, die in ihren Anteilen stetig wandeln: (wild-)zelten, selber kochen, trampen, wandern und Workaway. 


Zelten

Das Abenteuer beginnt bald nach der Tankstelle, wenn man die Hinterlassenschaften der knausrigen Klorebellen hinter sich lässt und über einen Maschendrahtzaun klettert. Hier im (kulturellen) Hinterland, einen Steinwurf von der Autobahn entfernt, wartet ein perfekter Zeltplatz darauf gefunden zu werden. Nicht immer ist es ein Idyll an Geräuschkulisse, aber doch ein solides Plätzchen für eine Nacht unter Apfelbäumen.

Das Zelten ist für uns nicht mehr wegzudenken und dafür gibt es viele Gründe. An erster Stelle steht natürlich die Möglichkeit unsere Energiereserven wieder aufzufüllen. Auch für uns gilt: nach einem anstregenden Tag gibt es nichts Besseres, als die Luftmatratze aufzupumpen und sich in die Daunen des Schlafsacks zu mummeln. Das Zelt hilft uns aber auch beim Trampen und auf den Wandertouren. Egal wie weit wir an einem Tag kommen, ob die Gegend einfach zu  schön ist um daran vorüber zu fahren oder die Kräfte nicht mehr ausreichen, mit unserem Zelt besteht jederzeit die Möglichkeit dort anzuhalten, wo wir es wollen. Interessanterweise, kommen wir durch unser Zelt auch häufiger in die Gelegenheit ungewöhnliche Schlafplätze zu entdecken. Es braucht meist nicht viel mehr als zwei oder drei Quadratmeter Freifläche, schon steht ein temporäres Zuhause auf Kuhwiese, Waldlichtung oder Vorgarten. Und selbst wenn die Wetterbedingungen uns eindeutig in die Zivilisation drängen, durften wir unser Zelt schon in Werkstätten aufstellen und die Privatsphäre unser eigenen vier "Wände" genießen.



Auf der Seite 'Zuhause' findet ihr übrigens noch einige "Stellplätze" fürs Zelt (dem Nachahmen wird zugeraten).


Selber Kochen

Kleine lokale Restaurants und Essstände, frisches Streetfood und einheimisch Spezialitäten sind toll und eigentlich haben wir immer, wenn wir durch eine Stadt unterwegs sind, irgendeinen Snack in der Hand. Aber den größten Teil unserer Verpflegung bereiten wir selbst zu. Dabei verarbeiten wir alles, was man auf dem Markt so findet, möglichst frisch und lokal.

Marktstraße in Cuzco, Peru

Meistens ist selbst kochen die günstigste Variante, somit ist es ein wichtiger Faktor, unsere Ausgaben gering zu halten. Oft ist es aber auch die einzige Möglichkeit an gesundes und/oder vegetarisches Essen zu kommen. Manchmal, wenn wir fernab jeglicher Zivilisation sind, ist es logischerweise die einzige Möglichkeit, überhaupt warm zu essen. In erster Linie macht es jedoch auch einfach Spaß, sich immer wieder kulinarisch auszuprobieren, immer abhängig davon, was die Umgebung so an Zutaten hergibt.  

Der Vorteil eines eigenen Kochsystems ist natürlich auch, dass man sich auch am einsamten Strand
 bei einer Mittagspause im Schatten gemütlich einen Kaffee kochen kann. 


Trampen

....Schouuummm.... Das wird nichts! Braucht man gar nicht den Arm hochhalten ....Schouuummm..... Ne, hab ich ja gesagt!... Schouuummm.... auch zu schnell unterwegs!... 



Trampen ist ein Geduldsspiel. Ein Strategiespiel. Und auch ein Glücksspiel. Es kommt auf eine geschickte Positionierung am Straßenrand an. Und darauf möglichst verzweifelt auszusehen, was man am besten schafft, wenn man verweifelt ist. Nach über 15.000 km eingeklemmt zwischen Rückbank und Beifahrersitz, lebendig begraben unter dem eigenen Rucksack, juckt es uns immer noch am Daumen, sobald wir an einer Straße stehen.

Warum stellt man sich also freiwillig in die Abgase des Straßenrands, wartet manchmal Stunden auf die nächste Gelegenheit, um wenigstens ein paar Kilometer voran zu kommen? Vielleicht am ehesten, weil es eine wunderbare Erfahrung ist, wenn man für ein paar Stunden alles Planen und Vorausdenken auf sich beruhen lässt und sich dem Zufall preisgibt. Denn Trampen bedeutet zuallererst sich einem ungeplanten Abenteuer auszusetzen.

Es gibt Tausend Menschen, die aus Millionen verschiedenen Gründen genau an diesem Tag auf dieser Straße an dir vorbeifahren. Und irgendwann hält einer davon an und du betrittst nicht nur ein Auto, sondern im besten Fall auch einen ganz anderen Teil der Wirklichkeit. Man könnte es also mit einem Roulette an unterschiedlichen Weltsichten vergleichen, bei dem man fast nur gewinnen kann. In der ersten Runde düsen wir mit einer ortskundigen Mutter und ihrem 10-jährigen Kind in einem kleinen roten PKW um scharfe Kurven und sie erzählt davon, wie sie vor 12 Jahren hier Urlaub gemacht hat und dann einfach geblieben ist. Dann, in der zweiten Runde, bedauert Pedro uns nur ein paar Kilometer mit seinem Traktor bis zu seinem Feld mitnehmen zu können. Julia "darf" mit auf dem Traktor sitzen und Jonathan "muss" sich leider hinten auf den mit Weizen beladenen Anhänger fläzen. Und dann kommt erst einmal lange Zeit nichts. Vielleicht ist ja jetzt Zeit für einen Kaffee und ein kleines Brot mit Tomate, Öl und Oregano? Aus einer kurzen Pause wird dann schnell ein Festmahl, dass bei einem Nachmittagsschläfchen verdaut wird, da sowieso nicht so viel Verkehr vorbeikommt.

Dann ist es schon Abend und die Sonne steht tief. Heute wird wohl nichts mehr kommen. Während einer die letzten halbherzigen Versuche macht, mitgenommen zu werden, schaut der andere nach der besten Schlafgelegenheit. Plötzlich ein Bremsen, ein Ruf: "Joooonaaaathaaaan". Eine mittelständische Großfamilie mit Großauto und Kleinfernsehern hat uns endeckt und will uns mitnehmen. Mit Keksen, Softdrinks und "Harry Potter y la piedra filosofal" geht es in die Schatten der langen Nacht bis wir einige hundert Kilometer weiter aus dem Auto und in unser Zelt am Straßenrand kriechen.

Ganz im Nebenbei dürfen wir beim Trampen in den Alltag der Menschen eintauchen, ihnen bei einer kleinen Fahrt zuhören von den großen und kleinen Begebnissen ihres Lebens, von den Dingen die ihnen aus der Politik des Landes im Kopf schwirren und den Wünschen, die sie für ihre Liebsten hegen. Viele kleine Geschichten über Land, Leute und Kultur verschmelzen so zu einem Gefühl von Kennenlernen und Bezug. Aus vorbeizischenden Bäumen, Sträuchern, Feldern und Straßen entstehen unsere Erinnerungen.

....Schouuummm.... Schouuummmmkkkkrrrr... Er bremst! Cool! Schnell nimm den Rucksack und vergiss die Kamera nicht!....



Wandern

„Wandern ist eine Tätigkeit der Beine und ein Zustand der Seele.“ (Josef Hofmiller)



Eine weitere Konstante unseres Reisens ist das Wandern. Haben wir genug von Straßen, Autos und Abgasen, heißt es die Stiefel enger schnüren und in die Natur. Das bedeutet zuallererst, unser Gepäck von durchschnittlichen 16 kg auf 8 bis 10 kg abzusenken. Unsere nicht benötigten Sachen geben wir gebündelt in einer Kiste bei einem Laden unserer Wahl ab- mal ein Supermarkt, ein Kinderladen oder Eisenwarenmarkt. Das klappt viel besser als man denken würde, denn in den meisten Fällen werden uns die Sachen mit einem netten Lächeln und den Worten 'Wenns nur das ist, dann her damit' gerne aus der Hand genommen. Und nein, wir wurden noch nie beklaut, sondern am ehesten noch bei unserer Rückkehr auf einen Kaffee eingeladen. 

Und dann kann es losgehen.



Dank Jonathans Horttrieb ziehen wir mit viel zu viel Essen los und erleiden heftige Schweißausbrüche angesichts des ersten Anstiegs. Es dauert aber kaum eine halbe Stunde bis uns jedes Mal erneut klar wird, warum wir das Wandern lieben. Denn an die schönsten Orte können einen nur die eigenen Beine tragen und die Anstrengung ist es allemal wert.



Normalerweise wandern wir kürzere Strecken, die bei entspanntem Gang ca. 3 Tage füllen. Längere Touren sind allerdings in Planung. Und da wir auch die Tendenz haben, uns zu verirren und das bei längeren Touren dann auch wirklich ein Problem werden könnte, haben wir in Puncto Sicherheit beim Wandern diesmal nachgerüstet und uns ein GPS-Gerät besorgt. 


Workaway

Irgendwann haben wir genug von vorbeiziehenden Landschaften und sich unaufhörlich wechselnden Szenerien. Irgendwann wird es alles ein wenig zu viel und all das, was man vorher spannend und aufregend findet wird zu einem undefinierbaren Rauschen, das man kaum noch wirklich wahrnehmen kann. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, sich weider eine feste Basis zu suchen, irgendwo etwas länger zu beleiben, durchzuatmen und sich zu erden. 

Für diese Pausen nutzen wir Workaway. Workaway ist eine Plattform, die Reisende mit viel freier Zeit und Lust verbindet mit Gastgebern, die eine Farm, ein Hostel oder irgendein Projekt haben, bei dem sie Hilfe gebrauchen können Manchmal sind es auch Familien, die einen Sprachaustausch für ihre Kinder wünschen. Wir haben in diesem Rahmen Bananen und Yucca im Urwald gepflanzt, Zitronen in Chile geerntet, ein kulturelles Zentrum in Peru aus Pferdedung aufgebaut und die abgeholzten Berge Boliviens reforestiert. (Ja gut, jetzt nicht die ganzen Berge.) Wir haben für 30 Personen gekocht, Bewässerungsanlagen verlegt, Gewächshäuser gebaut und Brote in einer mittelalterlichen Bäckerei gebacken. Jeder dieser Orte war etwas Besonderes, wenn auch nicht alles immer perfekt lief. 

Meistens wird von einem erwartet, ca. 5 Stunden am Tag 5 Tage die Woche zu arbeiten. Im Gegenzug bekommt man ein Bett (oder einen Zeltplatz im Garten) und Verpflegung. Wie genau die Konditionen aussehen, hängt dabei sehr vom Land und der finanziellen Lage des Projekts ab, in dem man sich befindet. Gratis dazu gibt es oft den Transfer von Know-How. In welche Richtung das fließt, ist natürlich auch sehr variabel. Idealerweise profitieren alle Beteiligten. 

Diese Aufenthalte bieten uns, wie schon gesagt, einen Ruhepol. Zumindest in dem Sinne, dass wir wieder für eine, zwei, drei Wochen wissen, wo wir heute schlafen werden. Darüber hinaus sind sie aber auch eine Möglichkeit, neue spannende Fertigkeiten zu lernen und interessante Menschen zu treffen. Wenn man gemeinsam drei Tage lang Löcher gräbt, kann man sich auf einer ganz anderen Ebene begegnen als das beispielsweise in Hostels oft der Fall wäre. Und ja, das Graben ist lustigerweise in irgendeiner Form doch recht häufig Bestandteil verschiedenster Aufgaben. Und eins haben wir ganz klar mitgenommen - Graben will gelernt sein. 

Wer im Wald leben will, muss auch eine Waldtoilette graben können. Greg's Gringo Farm, Rupanco, Chile

Couchsurfing

Sind wir in einer größeren Stadt, können wir natürlich  nicht einfach unser Zelt aufschlagen. (Wir haben es versucht - ein Loch im Zelt und ein fehlendes Portemonnaie und Handy waren die Folge. Wir tun es nicht mehr. Fast nie.) 

Couchsurfing ist da eine gute Alternative: eine Website, über die man nette meist selbst viel Reisende trifft, die einem für ein paar Nächte einen Schlafplatz zur Verfügung stellen. Doch es geht um mehr als nur einen kostenlosen Schlafplatz, es geht auch um die Möglichkeit, Locals kennenzulernen und den Ort mit ihrer Hilfe und aus ihrer Perspektive zu erkunden. Es geht um sozialen und kulturellen Austausch, darum neue interessante Menschen zu treffen. 

Wir taten uns dennoch lange ein wenig schwer mit couchsurfing, unsere ersten Erfahrungen waren etwas gemischt. Die Menschen, die uns in Chile oder im Iran aufnahmen waren nett, keine Frage, aber trotzdem stimmte die Chemie irgendwie nicht so richtig. Wir hätten fast aufgegeben, doch dann kamen wir nach Kasachstan und Russland und es lief einfach großartig. Die Menschen, die uns aufgenommen haben, waren toll. Sie waren spannend, unterhaltsam, großzügig, respektvoll und oft ein wenig verrrückt. Wir hoffen, jeden einzelnen von ihnen irgendwann in Deutschland als Gäste begrüßen zu dürfen. Wir sind dankbar dafür, diese Menschen getroffen zu haben und dafür, dass sie ordentlich aufgräumt haben mit all unseren Vorurteilen. Nun hat Couchsurfing einen festen Platz in unserer Reiseroutine und wir hoffen auf noch viele weitere tolle Begegnungen. 

Unsere Gastgeberin in Irkutsk, Helen, hatte eine Vorliebe für Ananas und da wir nirgendwo eine auftreiben konnten, mussten wir für unser Gastgeschenk eben improvisieren.







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