Iran: Erste Eindrücke

Junge Frau nutzt die Wartezeit auf den Bus, um ein wenig im Koran zu stöbern. Im Hintergrund: das omnipräsente Feilbieten von Fast Food.

Der Straßenverkehr

Iran hat eine der höchsten Raten von Verkehrsunfällen mit Todesfolge auf der Welt und es ist unschwer zu sehen warum. Der Straßenverkehr ist quasi völlig dereguliert, Spuren komplett hinfällig, oft werden sogar die Grenzen der Straße als solche einfach ignoriert. Von Ampeln wollen wir hier gar nicht sprechen, denn diese aufzustellen hätte man sich ebensogut sparen können. Als Fußgänger braucht man viel Mut, Waghalsigkeit und vielleicht so etwas wie Vertrauen, dass alles gut wird. Ansonsten kommt man nicht von der Stelle. Auf der Autobahn beobachten wir des Öfteren Überholmanöver, bei denen einem die Haare zu Berge stehen. Der Gegenverkehr wird dabei nicht einkalkuliert sondern nur durch penetrantes Hupen einzuschüchtern versucht.




In den ersten Tagen im Norden Irans regnet es täglich.

Iranische Gastfreundschaft

Wir haben im Vorfeld sehr viel Gutes über die iranische Gastfreundschaft gehört. Die Berichte waren nicht übertrieben, sondern eher das Gegenteil. Da wir leider kein Farsi sprechen und dummerweise auch nicht lesen können, sind wir häufig auf die Hilfe Anderer angewiesen. Das was dabei passiert, nennen wir mittlerweile scherzhaft 'sich von jemandem adoptieren lassen'. Das läuft folgendermaßen ab: wir möchten beispielsweise eine iranische SIM-Karte kaufen. Wir laufen in irgendeinen Laden rein, diesmal ein Fernsehshop und fragen, wo man das tun kann. Im nächsten Moment steht der Verkäufer auf, schließt den Laden ab und geht mit uns zu dem entsprechenden Telefonladen. Dort sitzen wir dann zu dritt, er übernimmt die Kommunikation und in der Wartezeit tauschen wir Bilder von unseren Familien aus. Am Ende tauschen wir nummern aus, weil besagter Fernsehverkäufer uns unbedingt auch weiterhin helfen möchte, falls wir irgend etwas benötigen. Es folgen mehrere obligatorische Selfies und warmherzige Verabschiedungen.

Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Die negative Seite der iranischen Gastfreundlichkeit zeigt sich besonders beim Trampen. Menschen sind so nett und um uns besorgt, dass sie uns nicht aussteigen lassen, wenn wir es möchten. Oder wir werden rausgelassen und in ein Taxi gezwungen, das zu allem Übel auch noch für uns bezahlt wird. Alle Widerrede hilft meistens leider nicht und wenn wir uns doch mal durchsetzen bleiben enttäuschte und traurige Gesichter zurück. So ist es nicht immer einfach zu entscheiden, welches jetzt das geringere Übel ist.

Wenn wir keine Lust mehr haben entscheiden wir uns Bus zu fahren. Wenn wir dann am Terminal nach einem Bus fragen, der nicht mehr fährt, beendet auch der Ticketverkäufer verfrüht seine Schicht und fährt uns trotz heftiger Widerrede in die nächste Stadt. Am Ende gibt es die besagte obligatorischen Selfies, und einen Zettel mit seiner Telefonnummer und 'I love you' drauf, damit wir ihn anrufen können, wenn wir noch Hilfe benötigen.

Aus dem Auto des Ticketverkäufers ausgestiegen, bildet sich bereits eine Traube Männer um uns, die wissen wollen, wo wir herkommen und was sie für uns tun können... Ihr begreift das Muster. Es bleibt manchmal kam eine Minute zum Durchatmen. Das ist alles sehr lieb gemeint, aber manchmal einfach zu viel. Eigentlich wollten wir doch nur eine Mitfahrgelegenheit, die uns auch wieder rauslässt. Oder eben eine Busfahrt, die wir auch selbst bezahlen.

Iran könnte bei all der Hilfsbereitschaft das ideale Land zum Trampen sein, doch leider verstehen Menschen nicht ganz, wann die Fahrt vorbei ist oder warum wir nicht mit ihnen nach Hause fahren möchten, um dort Kebab zu essen. Wenn wir erklären, dass wir gerne in unserem Zelt schlafen möchten, ist die Verblüffung in den Gesichtern lustig mitanzusehen. "Nein, nein. Das kann man nicht machen. Es ist viel zu gefährlich, zu kalt, zu warm und zu unsicher. Außerdem kommt da Regen." Inzwischen wurden wir schon von Schäfern und Bahnmitarbeitern mit Walkie-Talkie gejagt, um uns unbedingt zu überzeugen, doch nicht da in der hässlichen und ungemütlichen Wildnis zu schlafen. Es folgen multiple Einladungen nach Hause vom Schäfer und vom Bürgermeister und von drei sonstig Unbeteiligten. Zwischendurch werden wir von mindestens 3 Personen gefragt, wo wir herkommen (lächelnde Gesichter bei unserer Antwort "Alman") und mindestens 3 weitere Personen geben unsere Auskunft an die gesamte Gruppe wieder. Irgendwann geben wir auf und bitten uns wenigstens an der Bahnstation schlafen zu lassen und nicht mit irgendwem nach Hause gehen zu müssen. Wir ernten enttäuschte Gesichter, denn Zuhause warten Unmengen an Köstlichkeiten, die man Gästen vorsetzen könnte.



Unser temporäres Exil-Zuhause an einer Bahnstation nachdem uns freundlich verboten wurde in den Bergen zu campen, weil zu gefährlich und nach iranischer Überzeugung hässlich. Ist ja auch viel schöner an so einer Bahnstation.


Erhöhte Aufmerksamkeit

Zu der eben erwähnten Gastfreundschaft kommt, dass man im Iran als Tourist extrem auffällt. Zugegebenermaßen waren wir bisher in eher untouristischen Gegenden unterwegs und wir erwarten auch, dass ich das in den touristischeren Regionen etwas legen wird. Bislang jedoch fühlen wir uns ein wenig wie bunte Hunde. Wenn wir die Straße lang gehen hören wir aus allen Richtungen ein 'Hello', 'How are you?' und 'Welcome to Iran' oder eine beliebige Kombination aus den dreien. Manche Menschen lächeln uns sehr herzlich an, andere starren so heftig, dass wir einfach lächelnd grüßen, was meist auf sehr große Freude trifft. Ständig wird Jonathan in Unterhaltungen verwickelt, muss nach rechts und links Hände schütteln. (Julia wird dabei meist außenvorgelassen oder nur mit einer zurückhaltenden Verbeugung begrüßt. Ein Vorteil oder ein Nachteil? Manchmal schwer zu sagen.) Wenn wir an einem Bolzplatz vorbeilaufen, mutieren die spielenden Jungs zu unserer persönlichen kleinen Fangemeinschaft. Ein Horde pubertierender und kreischender Schulmädchen bringt uns der Verzweiflung nahe, mehrfach. Von fahrenden Autos werden wir ständig angehupt, einfach nur um uns dann freundlich zuzuwinken, uns zu begrüßen oder auch mal aus dem fahrenden Auto zu sich nach Hause einzuladen.



Diese Kindertraube hat uns beim Lesen im Park entdeckt. Auf dem Foto nicht zu sehen: de fünf ebenso begeisterten Erwachsenen, die zuerst die Kinder baten uns nicht zu belästigen und uns dann selbst allzu gerne belästigten  


Der Umgang damit ist nicht immer einfach. Bei all der Freude und Begeisterung über unsere Anwesenheit möchten wir natürlich nicht unhöflich sein. Der Mensch vor uns kann ja nicht ahnen, dass er bereits der 30ste Mensch ist, der heute gerne ein Selfie mit uns machen würde. Aber die Summe an Aufmerksamkeit ist manchmal ein wenig überwältigend. So geschieht es, dass wir uns manchmal hinter schlecht einsehbaren Ecken verstecken, um mal ein paar Minuten Ruhe zu haben. Oder extra in ein Restaurant setzen, um für eine Weile fremden Annäherungen zu entkommen.
Fazit: Das klingt vielleicht etwas negativ, deshalb möchten wir auf jeden Fall nochmal betonen: Im Iran ist man als westlicher Tourist wirklich sehr willkommen und Menschen finden viele Wege, einen das spüren zu lassen. Man wird immer freundlich und zuvorkommend behandelt, es wird alles stehen und liegen gelassen, um zu helfen. man wird ständig überall eingeladen und bekommt etwas geschenkt, zumindest ein freundliches Lächeln. Nur unsere Selbstständigkeit, für die hätten wir manchmal gerne etwas mehr Raum.



Teppichmarkt in Tabriz. Und ja, Peserteppiche sind erwartungsgetreu überall und oft das einzige (prächtige) "Möbelstück" im iranischen Wohnzimmer


Religion

Der Iran ist eine islamische Republik. Das zeigt sich nicht nur im politisch öffentlichen Leben, sondern zieht sich bis ins alltägliche und private. Zuallererst sind da unsere stetigen Begleiter: ein Doppelportrait von Khomeni und Chamenei, das in unterschiedlichsten Formen und Größen (sehr gerne auch in extremer Überlebensgröße) in jedem Regierungsgebäude und logischerweise auch an jeder Moschee hängt. Denn Staat und Religion sind im Iran nicht von einander zu trennen.

Khomeni, ein alter Mann mit Turban, langem silbrigen Bart und kämpferischem Blick, ist der verstorbene Initiator, Revolutionsführer und religiöser Übervater der islamischen Republik. Khamenei, ein alter Mann mit Turban, langem silbrigen Bart und milde herablächelndem Mund ist der derzeitige Religionsführer und in Personalunion auch Staatsoberhaupt mit nahezu unbegrenzter Machtfülle. Man stelle sich eine milde lächelnde Version aus einer Mischung von Ex-Papst Benedikt und Heimat-Minister Seehofer (CSU) vor, der nicht nur das Aufhängen von Kruzifixen, sondern auch eine x00.000 Mann starke Truppe befehlen kann. Auch wenn das aktuelle politische Tagesgeschehen vom Regierungschef Rohani gestemmt wird, sind seine Entscheidungen nur bis auf Widerspruch von Khamenei gültig.

Im Alltäglichen ist vor allem die passende Bekleidung ein Thema. Denn im Iran gilt für Frauen eine Hijab-Pflicht. Das bedeutet: Frauen müssen ein Manteau tragen (eine Art Überrock, der mindestens den Hintern verdeckt) und ein Kopftuch, das die Haare verdeckt. Religiösere Frauen (oder solche mit religiöseren Männern) tragen Tschador, ein zeltähnliches Gewand, das zusätzlich zum regulären Hijab um den Körper geworfen oder gebunden wird. Der Tschador ist nicht vorgeschrieben, zumindest nicht durch den Staat. Das Gegenteil davon ist ein Hauch von Nichts, das nur noch am Hinterkopf baumelt, sehr beliebt auch in Kombination mit viel Make-up. Die Art und Weise, wie eine Frau sich verschleiert, ist im Iran daher auch ein ständiges politisches und religiöses Statement.

Drei Frauen im Tschador, der vor allem in ländlicheren Regionen allgegenwärtig ist


Am meisten überrascht hat uns, wie viele Menschen im Iran aus eigenem Antrieb gläubig sind. Vor unserer Reise haben wir häufig von der fortschreitenden Säkularisierung des Irans gelesen und von  aufgezwungener Religiosität. Im Alltag und Privaten sehen wir dann doch eine große Anzahl an Menschen, die im Park vor dem Essen beten, den Tschador tragen oder vor Schreinen verstorbener Geistlicher in Tränen ausbrechen. Aber natürlich treffen wir auch Gegenteiliges: Menschen, die nichts vom Ramadan halten, sich wünschen, dass die Mullahs keine Macht im Land hätten und Religion eben wieder eine private Angelegenheit wäre. Ebenso Pärchen, die mehr oder minder versteckt Händchen halten und Menschen, die im hinteren Bereich eines Ladens die Regeln des Ramadan missachten.

Es bleibt bei uns der Eindruck, eines massiven Spannungsfeldes im Land: zwischen Religiosität und ihrer Bedeutung und dem Wunsch nach Freiheit von islamischer Zensur und religiösem Zwang.

Sicherheit

Sicherheit ist wirklich gar kein Thema. Wie ihr den oberen Ausführungen entnehmen könnt, schenken einem die Menschen lieber etwas als einem etwas zu klauen. Wir können uns auch bei bestem Willen keine Bedrohung durch irgendwen vorstellen, denn 1) wir sind unter ständiger Beobachtung, von allen und 2) wenn mal jemand doch böse Absichten hätte, würde der vermutlich auf offener Straße gelyncht werden.
Was Preise angeht gibt ein internes Überwachungssystem: Die Menschen zeigen uns ständig wie viel zum Beispiel eine Busfahrt kostet, damit auch ja niemand auf die Idee kommt, zu viel von uns zu verlangen. Iran hat sicherlich Probleme, Sicherheit ist zumindest für westlich Besucher keins davon.



Ein kleines Einkaufszentrum, Iranian Style

Aktuelle politische Entwicklung: eine traurige Anekdote

An unserem zweiten Abend im Iran lädt uns unser Couchsurfing Host Morteza zu seiner Familie ein. Wir essen gemeinsam zu Abend, lernen uns etwas kennen. Im Hintergrund läuft der Fernseher: BBC Iran. Also weniger Mullahs, sondern Büro-Menschen in Anzügen, die aus aller Welt zugeschaltet werden. In einer Stunde soll Mr. Trump (unsere Gastfamilie nennt ihn den orangenen Präsidenten) seine Entscheidung zur Fortführung des Atomabkommens mit dem Iran verkünden. Plätschert das Gespräch davor noch von Haarfarben zu den schönsten Städten des Iran, wird die Stimmung auf einmal angespannt. Die Familie sammelt sich vorm Fernseher, der Ton wird ganz laut gestellt. Blechern geben Kommentatoren ihre letzten Prognosen darüber, womit Mr. Trump diesmal überraschen könnte und mit welchen Folgen zu rechnen sei. Alle im Raum halten den Atem an. Sie haben Angst. Angst davor, dass Trump das Abkommen aufkündigt und die Sanktionen wieder verschärft. Angst davor, dass damit eine weitere Welle der Geldentwertung bevorsteht, die die verbliebenen Ersparnisse zerbröseln lässt. Ja, ein bisschen Angst sogar, dass die wechselhafte Orange sich entschließt in den Krieg zu ziehen und das Land zu überrennen.

Dann kommt der Präsident der USA auf die Bühne und klagt über die Ungerechtigkeiten die sein Land heldenhaft ertragen muss, während der scheinheilige Iran die Welt mit Terror überzieht. Die Adamsäpfel in der Runde schwant Böses und sie gehen in Deckung. Die Rede dreht in aggressives Bellen und am Ende unterschreibt Trump selbstzufrieden die Aufkündigung des Abkommens, die vermeintliche Vernichtung von Sparerexistenzen.

Die Stimmung ist noch ungelöst. Während der Bruder innerlich flucht, da er Gold in Landeswährung getauscht hat und Verlust erwartet, sind andere heimlich froh, dass es noch keinen Krieg geben wird. Nur die Oma bleibt ungerührt und kümmert sich um die Aufzucht der nächsten Generation. Uns wird zum ersten Mal deutlich wie glücklich wir uns schätzen können, dass Politiker-Reden in Deutschland weniger Spannung erzeugen. Es stößt unheimlich bitter auf, dass da jemand am anderen Ende der Welt über den Alltag und die Zukunft von Millionen von Menschen entscheidet und sie davon per Fernseher in Kenntnis setzt.

Die Aufkündigung hat in den nächsten Tagen zumindest auf die Inflation nur wenig Effekt (vielleicht wegen der Haltung der EU), doch der Schaden ist schon angerichtet. So beschreibt unser Host Morteza, dass er bis vor ein paar Jahren für einen Auslandsaufenthalt in den Niederlanden gespart hat, um sein Studium abzuschließen. Ihm kommen Tränen in die Augen. "Das wird in diesem Leben wohl nichts." Mit einer Geldentwertung von 1€ zu erst 10.000 Rial, dann innerhalb von wenigen Monaten auf 1€ zu 40.000 Rial bis heute auf 1€ zu 78.000 Rial hat sich der Traum im politischen Gezerre zerrieben.




Erholung fürs Auge :)



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