Kambodscha: Inselliebe, Abschiedsschmerz



Unsere Flucht vor dem Winter hat in Kambodscha nun endlich ihr vorläufig ganz endgültiges Ende gefunden. Während wir mit dem Schmetterwurm ohne großes Aufsehen und natürlich ohne legale Papiere für eine 1-$- Schmiergeld-Touristengebühr über die Grenze Vietnam-Kambodscha fahren, ballert uns die Sonne in den Nacken.
Ohne Erbarmen hüllt uns eine dickschichtige Hitze von 36° ein, die die Erinnerung an Wollunterwäsche wie von einer ganz anderen Welt erscheinen lässt. Auch der Schmetterwurm kann dieser Hitze nicht davon brausen und so entscheiden wir uns für den Urlaub vom Urlaub - für Hängematten am Strand mit Kokosnuss und Palme.

Urlaub vom Urlaub und kambodschanische Natürlichkeit

Mit dem Fischerboot geht es nach Koh Ta Kiev, eine Insel ohne Straßen und nur einem winzigen Fischerdorf als Dauersiedler. Strom gibt es nur für 3-4 Stunden ab Sonnenuntergang und auch sonst verzichten wir hier auf allen zivilisatorischen Schnickschnack. Eine zu jeder Seite halboffene Schilfhütte mit Moskitonetzen ist die Schlaffstatt, eine Hängematte und ein paar dicke Bücher die Freizeitbeschäftigung. Jeden Tag geht es in den 30°C-warmen Ozean und nur der Wunsch nach Palmenschatten kann uns daraus wieder hervorlocken. Tiefenentspannt geht es nach einer Woche weiter, denn wir wollen ja auch ein bisschen von Kambodscha erkunden.


Überfahrt auf unser Inselparadies
 
Unsere Hauptbeschäftigung: in der Hängematte hängen und Krieg und Freiden in vier Tagen lesen

Strandromantik im Abendlicht


Über huckelige Teerpisten, auf denen sich Schlaglöcher freundschaftlich zusammenrotten, quälen wir den Schmetterwurm durch die Hitze. Nicht lange könne wir auf unserer Seite der einspurigen Straße ungestört dahintuckern. Lautes Hupen und Blitzen der Lichthupe kündigt uns an, dass der auf der Gegenseite überholende SUV nicht vor hat auf seine Spur zurückzukommen. Die Hackordnung ist klar: LKW, SUV, Schmetterwurm - und wir müssen dorthin ausweichen, wo wir anscheinend hingehören in den roten Staub neben die Straße.

Nun fahren wir gerade in der Mitte der Trockenzeit durchs Land, aber die Allgegenwärtigkeit von gelblichem, rötlichem oder bräunlichem Staub fällt uns doch stark ins Auge. Mit Erschrecken lesen wir, dass 75% der Waldfläche seit den 1990er "verschwunden" ist.  Eine recht eintönige sandige Fläche breitet sich vor unseren Augen aus. Im Hintergrund brennen die letzten Büsche ab, um Platz zu machen - ja wofür eigentlich? Die restlichen Sandpisten sind nämlich gar nicht beackert, spärliches Gras fristet hier seine kümmerliche Existenz unter der unnachgiebigen Sonne.

Eine der wenigen kambodschanishen Landschaften, die wir durchfahren, die zu dieser Zeit des Jahres nicht komplett ausgetrocknet ist

Jonathan erkundet eine von Hunderten von Pagoden, die die Landschaft säumen

Buddha is teaching, thou shall listen

Schon wieder sind wir einige Tage auf der Straße und irgendwie ist da im Kopf eine Stimme, die schon wieder nach Pause schreit - diesmal aber bitte mit ein bisschen mehr Komfort. Mit den Stimmen im Kopf soll man bekanntlich nicht streiten und deshalb geht's in die außergewöhnlich gewöhnliche Stadt Battambang. Außer ein paar kleinen Ausflügen zu nahegelegenen Tempelanlagen, ist unser Tagesplan hier nur von der Wahl des Mittags- und Abendessen bestimmt. In dieser Unaufgeregtheit verlangsamt sich unser Reisepuls und irgendwie scheint uns, dass in diesem "Alltag" die früheren Reiseerfahrungen Zeit bekommen uns einzuholen.


Unspektakuläres doch charmant schönes Battambang


Tempeltürme und Touristenfallen

Man stelle sich vor, die allererste Reise nach Italien stehe ins Haus und ohne viel Federlesen müsste sich entschieden werden, womit denn die vier Wochen gefüllt sein wollen. Im Internet schreien die Leute das KOLOSSEUM in Rom und in den Auslagen der Geschäfte sieht man das KOLOSSEUM in Rom und fragt man dann noch die Bekannten, sagen die natürlich das KOLOSSEUM in Rom - also das, DAS müsse man gesehen haben. Entsprechendes gilt für die alten Tempelanlagen von Angkor Wat. Nirgendwo gibt es in seiner Gesamtheit so gut erhaltene Ruinen und ohne sie gesehen zu haben war man in Kambodscha genau so wenig, wie in Italien ohne das Kolosseum in Rom zu besichtigen. Und weil das fast alle denken, gibt es gewaltige Touristenströme, die sich gegenseitig auf den Füßen stehen, um durch kläffende Souvenierbuden geschleust ihre 70$ Eintrittsgeld abzudrücken. Was man nun aber allzu häufig vergisst, ist, dass auch das Kolosseum in Rom zwar ein ganz besonderes Exemplar eines Amphitheaters (nämlich das größte), aber keinesfalls ein architektonisches Unikat ist. Und wie man in Italien weitere gut erhaltene Spielstätten, aber weniger besuchte findet, so findet man auch ein zweites, wenn auch kleineres Angkor Wat in Kambodscha.


Eine von ganz vielen kleinen Tempelanlagen aus der Zeit von Angkor Wat, die heute mehr oder minder erhalten sind

Stolz trotzt der Glaube Wind und Witterung

Beim Bestaunen alter Fresken

Riesige Buddhastatue überschaut das Land


Unser Angkor Wat hieß Benteay Chmaar und liegt etwas abseitig im Norden. Abseitig bedeutet außer uns keine weiteren Touristen, sondern die Dorfjugend abhängt, die in den Weiten der Tempelruine zärtliche Rendezvous und chillige Hangouts zelebriert. Ungestört von Menschenmassen schreiten wir durch die unbesetzte Eintrittspforte und werden von einem dahinschlendernden Polizisten auf die besterhaltensten Türme und Reliefs hingewiesen. Riesige Bäume haben sich das vernachlässigte Kulturgut zu ihrem Habitat erwählt und ihre weitschweifenden Wurzeln in die kleinsten Steinritzen fließen lassen. Die erstarrte Umklammerung lebendiger Materie leiht den Tempelmauern Geheimnis und neue Energie. Uns gefällt die Mischung so gut, dass wir am nächsten Tag gleich wiederkommen und wieder findet sich niemand, der unser Eintrittsgeld abkassieren möchte, sodass wir am Ende die Eintrittswächter selbst ausfindig machen, um unseren bescheidenen Beitrag zum Erhalt zu leisten.

Banteay Chmaar, eine der größten alten Hindutempel. Die Anlage ist fast vollständig zerstört worden, doch in den letzten Jahren wurde in mühseliger Kleinarbeit einiges wieder aufgebaut

Es finden sich so einige gut erhaltene Reliefs. Während auf denen hier fromm gebetet wird...

...steigt auf diesen eine Hinduparty.

Einer der berühmten Gesichtertürme

Die Natur hat große Teile der Tempelanlage zurückerobert

Der Schmetterwurm - ein Nachruf

Unsere Zeit in Kambodscha neigte sich dem Ende und das bedeutet; wir mussten uns von unserem lieben Schmetterwurm verabschieden (Motorräder mit vietnamesischen Nummernschildern sind in Thailand nicht erlaubt.). In Siem Reap fanden wir nach kurzer Suche einen Käufer, der uns das Motorbike für unseren ursprünglichen Kaufpreis abgenommen hat. Wir konnten also zwei Monate quasi kostenfrei (außer Benzin- und Reparaturgeld) Motorrad fahren. Mit dem Schmetterwurm hatten wir alle Beziehungsphasen: intensives erstes Glück in der Anfangsphase, Ermüdung von der Routine, zweites Glück, weil man die neugewonnene Freiheit mehr zu schätzen weiß, Vertrauensbruch als das Hinterrad sich während der Fahrt verabschiedet hat, drittes Glück einen solch treuen Begleiter zu haben und am Ende den unvermeidlichen Abschiedsschmerz. Ach Schmetterwurm! Wahre Liebe stirbt keinen Erinnerungstod.

Bevor er verscherbelt werden soll, wird der Schmetterwurm nochmals ordentlich rausgeputzt

Nach dem Verkauf stehen wir etwas gestrandet in den gluthitzigen Straßen Siem Reaps. Normalerweise würden wir uns jetzt aufs Moped schwingen und zum nächsten Abenteuer düsen. Aber jetzt? Wie wird es jetzt wohl weitergehen? Nicht lange und wir erinnern uns an das Leben vor dem Motorrad und so machen wir uns auf an die Straße, auf per Anhalter in das reichere und vermutlich touristischere Thailand.

Wir sind zurück in unserem natürlichen Habitat, dem Trampen. Hier auf der Ladefläche eines Pick-Ups. Übrigens ist das Grillen dort hinten bei 36° nur halb so spaßig wie es aussieht.

Und hier auch noch ein Nachruf auf den wunderschönen Strand, den wir ebenfalls in Kambodscha zurück lassen mussten

Kommentare